Freitag,
12. Juni:
17:30
Uhr: Die erste Veranstaltung der Lyriktage nennt sich Mürzer Gespräche zur Dichtung, bei der
im Gemeindesaal im Stift Münster Peter
Rosei, der momentan die Ernst-Jandl-Dozentur für Dichtung innehat, Thomas Eder, Professor am Institut für
Germanistik an der Universität Wien, und Kurt
Neumann, der zum Beispiel das Programm der alten Schmiede erstellt, über
Dichtung diskutieren. Sprache ist voll von dynamischen Bildern und Musik, Pakte
werden geschlossen und wir bewegen uns von Kugel zu Kugel zu Kugel – von der
realen Welt zu den psychischen Prozessen des Autors zum Werkzeug des
Schreibens. Geschwätzigkeit sei das Letzte, meint Rosei und dreht sich weiter
im Kreis um die Kunst, Diskurse, Empathie und das Denken. Am Ende rauchen die
Köpfe, der Redaktion stehen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben und viele
Begriffe – wie der der Kunst oder des Diskurses – bleiben ungeklärt.
Lyrik-Vorlesungen sind, so Rosei, nur Versuche, teilweise zu sagen, was hier vorgehe.
Er könnte es ein wenig verständlicher sagen. Auf Seite XX ist eine kritische
Reflexion von Doris Mayer über diesen Vortrag nachzulesen.

19:30
Uhr: Wir wechseln in die Pillhofer Halle, in der Christian Muthspiel eine Soloperformance nach Lyrik von Ernst Jandl
gibt. Ohne Pauken und Trompeten, aber mit einigen Loopstations, Klavier, Posaune,
Stimme und allerlei Pfeifen webt Muthspiel im Schweiße seines Angesichts
wunderbare Klangteppiche. Ganz vertieft in seine orchestralen Stücke verrenkt
er sich gekonnt zwischen den Instrumenten, vom Band hört man Jandls
unverkennbare Lesungen. Die Stimmung und der Stil wechseln unaufhörlich von
Vogelgezwitscher über Jazz bis zum Jodeln. Die Redaktionen sind alle durch die
Bank sehr beeindruckt.
Samstag,
13. Juni:
10:00
Uhr:
Der erste Block von Lesungen beginnt, vom Jurymitglied des Ernst-Jandl-Preises Paul Jandl, nicht mit dem Namensgeber
der Veranstaltung verwandt, moderiert. Uljana
Wolf liest aus Falsche Freunde
und meine schönste Lengevitch zum
Wasserglas. Mit musikalischer Stimme malt sie wunderschöne Bilder,
Wortkaninchen werden von Philosophen im Schlafanzug aus dem Hut gezogen und die
Autorin geht „ins Tingeltangel language angeln“. Darauf folgt Ulf Stolterfoht mit Was Branko sagt, ein Text, indem sich
viele Holzknechte und andere Menschen auf den Weg machen, zum Beispiel in die „Eichhörnchenstadt“.
Monika Rinck liest aus Hasenhass und Honigprotokolle, es geht um Heiterkeit, Quallen-Quartette und
darum, dem Grund auf den Grund zu gehen.
Nach einer kurzen
Mehlspeisenpause zum Kopf-Durchlüften geht es weiter mit Nadja Küchenmeister und Gedichten aus ihrem Werk Unter dem Wacholder, mit klaren,
nüchternen Worten beendet sie ihre Lesung mit der Zeile „Alle sprachen ohne
Grund“. Michal Hammerschmid liest
kürzere Texte aus die drachen die
lachen. Kindergedichte, spielt mit Lautstärken und eingängigen Reimen.
Fazit: ein abwechslungsreicher erster Lesungsblock mit vielen verschiedenen,
spannenden Autoren.

14:30
Uhr: Der zweite Lesungsblock wird von Klaus Reichert, ebenfalls einem Jurymitglied, moderiert, der den
Dichtern nach der Lesung auch ein paar Fragen stellt. Simone Kornappel liest mit eindringlicher Stimme aus Raumanzug Würfeltexte, die ohne
Kohärenz von jeder der sechs Seiten aus gelesen werden können sollen. Die
Themen, wie Androiden, sind aktuell und spannend, die Inszenierung etwas gewöhnungsbedürftig.
Jan Volker Röhnert spielt in seinem
Werk Wolkenformeln mit Erwartungen
und Widersprüchen und malt schöne Sprachbilder wie von den „Sprechblasen
ausgetretener Kaugummis“. Silke Scheuermanns
Gedichte aus Skizze vom Gras
tragen Titel wie „Der Dodo“ oder „Die Wandertaube“ – ausgestorbene Tiere, die
in den Texten durch Gentechnik wieder auf der Erde wandeln und unseren Kindern
als Spielkameraden dienen werden. In der kurzen Pause werden viele Bücher
gekauft und Autoren zu Kurzinterviews und Signaturen abgepasst. Danach liest Matthias Göritz aus seinem
Sonetten-Kranz Automobile, in denen
technische Details zum Autodiebstahl auf eine Roadmovie-Liebesgeschichte treffen.
Die durchkomponierte Sprache mit Bezügen auf Musikstücke ist wunderschön. Der
Lesungspart endet mit Oswald Egger
mit Texten voller Neuschöpfungen wie „Filzegspinstes Ungezwirn“ aus Euer Lenz, der Schlusssatz lautet: „Ich
habe nicht übertrieben viele Stieglitze gesehen.“ Vögel sind auf diesen
Lyriktagen wohl überall, zumindest abwesend.
19:00
Uhr: Neben der Pillhofer Halle werden vor dem Regen geschützt
zunächst Wein und Brötchen gereicht, dann beginnt die Preisverleihung mit einer
Begrüßung durch den Bürgermeister Peter
Tautscher (der Herr Staatssekretär lässt sich entschuldigen), darauf folgt
eine etwas ausschweifende Laudatio von Thomas
Poiss: „Kunst hat die Funktion, dass Fesseln gesprengt und abgestreift
werden, wo sie zuvor nicht wahrgenommen wurden.“ Schön. Die Jury verleiht den
Preis und schließlich liest endlich der Preisträger Franz Josef Czernin. Dabei werden die Gedichte zum Mitlesen auch
auf einen Beamer projiziert, was das Verständnis erheblich erleichtert. Texte
aus William Shakespeare. Sonnets,
Übersetzungen, zungenenglisch.
visionen, varianten und elemente,
sonette trägt der Dichter mit bedächtiger, ergreifender Stimme vor. Jeden
Text (außer den Übersetzungen) liest Czernin in unterschiedlichen akustischen
Realisationen, die erst Verständnis ermöglichen. So wird beispielsweise
„hautnah erzählend“ zu „hautnah Herz elend“ oder der „Vogelort“ zum
„Vogel-Lord“. Die Redaktion ist begeistert.
Sonntag,
14. Juni:
11:00
Uhr: Die Lyriktage enden mit einer Diskussion zum Thema Poesie und Erkenntnis, bei der sich Thomas Eder, Wolfram Pichler, Experte zur Bildtheorie vom Institut
Kunstgeschichte, Klaus Reichert und Franz
Josef Czernin ins Gefecht stürzen. Die Debatte kommt von Ontologie, über
Sprech- und Geschlechtsakte, Sprachvergleiche mit dem Englischen, Proust und
Dante vom Hundertsten ins Tausendste. Vor allem das Wörtchen „blizzakt“ aus
Czernins zungenenglisch wird analysiert, Interpretationen wie von einem Autounfall
werden angeboten. In einem zweiten Teil werden Fragen aus dem Publikum
besprochen, was der Verständlichkeit sehr zuträglich ist. Es wird viel gelacht
und in wohlwollender Atmosphäre werden die Lyriktage beendet.
Fazit:
Mit unzähligen abgestaubten
Gedichtbänden, einigen Kilos mehr auf den Rippen dank den Buffets und dem
„Borkenkäfer“, einem Schlafdefizit und vielen besonderen Eindrücken kehrt die
Redaktion heim. Besonders die musikalische Performance und die Lesungen haben
einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Wir meinen: Es gehört mehr gejandelt!
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